Schläfer
Freitagmorgen um ein Haar die Revolution verpennt. Eine metallisch scheppernde Stimme brüllt durchs gekippte Schlafzimmerfenster: „HAJRA-WOS-DAFAGA-DOFFALLAN-OJROO!“ Den Langschläfer katapultiert es augenblicklich in die Senkrechte. Eine unverständliche Botschaft zwar. Doch mit solcher Bestimmtheit durch ein Megafon gepresst, dass jeder Widerstand zwecklos erscheint. Ein Aufruf zum Kampf.
Okay, es ist so weit. Umsturz, Revolution, Bürgerkrieg. Hätte ich doch auf meine Mutter gehört. Heute also rächt sich die Langschläferei. Wieder die ultimative Aufforderung: „HAJRA-WOS-DAFAGA-DOFFALLAN-OJROO!!“ Beängstigend nahe. Diese hasserfüllte Stimme, diese wilde Entschlossenheit. Vor der Haustür wird der Heilige Krieg ausgerufen. Und ich: verpennt, in Boxershorts.
Mit dem Rücken zur Wand Deckung suchend, ziehe ich den Vorhang ein Stückchen beiseite. Der grüne Kastenwagen der Revolutionäre rollt bedrohlich langsam vorüber. Aus dem Lautsprecher dröhnt unerbittlich die Botschaft des Umsturzes: „HAJRA-WOS-DAFAGA-DOFFALLAN-OJROO!!!“
Was ist das!? Von nebenan eilen Männer und Frauen herbei, strömen auf die Straße, drängen sich an die Laderampe des mysteriösen Gefährts. Meine Nachbarn – Kollaborateure, Guerillas, Separatisten, Schläfer? Unfassbar.
Auf der Ladefläche die Silhouette des Rädelsführers. Eilig verteilt er etwas an seine Gefolgsleute. Kein Zweifel: Die Waffen, die den Weg zur Revolution ebnen sollen. Und die Aufständischen reißen sie ihm aus den Händen: Neue Roßdörfer Kartoffeln, das Kilo ein Euro.
Erschienen im Darmstädter Echo